Goran Minov - Digital Consulting

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Amazon Go zeigt die Zukunft des Einzelhandels.

Als Amazon CEO Jeff Bezos vor einigen Monaten seine Pläne zu Lieferungen per Drohnen enthüllte, stellten sich viele Fragen. Einzellieferungen pro Drohne schienen nicht gerade effizient. Und das von einem Unternehmen, dass Effizienz in der Lieferkette quasi neu definiert hat. Es ging im Grunde aber auch um eine neue und einfache Shopping-Erfahrung. Und wenn einer der größten und wichtigsten Einzelhändler die Einkaufserfahrung verändern will, horchen natürlich alle auf. So auch beim neuen Retail-Konzept Amazon Go. Keine Warteschlangen. Keine Bezahlen an der Kasse. Einfach mitnehmen und rausgehen. 

Just Walk Out Technology

Amazon Go unterscheidet sich erheblich von der Drohnen-Idee. Es stützt sich auf mehrere ziemlich gut verstandene Technologien, die bereits in das öffentliche Bewusstsein und die Nutzung migriert sind: Computer Vision, Deep Learning Algorithmen und Signale aus unterschiedlichsten Sensoren. Darüber hinaus verheiratet das Konzept aber auch die Kenntnisse der Einkaufsaktivitäten mit Live-Informationen aller Käufer in der Filiale. Das eine ist es eben, zu wissen was da gerade eingekauft, aus dem Regal geholt oder nur betrachtet wird. Das andere ist es zu wissen, wer da gerade einkauft.

Eine Gefahr für den stationären Einzelhandel? 

Ganz sicher. Auch wenn aktuell einige skeptisch oder wie die Horizont da noch anderer Meinung sind. Vieles spricht aus meiner Sicht für einen möglichen Wandel im Einzelhandel. Der Film ist natürlich ein reiner Werbefilm und mit den üblichen hippen Charakteren und Szenen versehen. Und natürlich aus der eigenen, US-gefärbten, Realität heraus inszeniert. Einem Land wo es Drive-By Geldautomaten gibt. Convenience geht über alles. Aber Convenience heißt in Deutschland Kundennutzen. Und mal unter uns: Welche Nutzen haben Kunden, wenn sie sich entnervt einen Ladenmitarbeiter erlegen müssen, dann an der Kasse mit vollen Händen warten und am Ende vom Schock der Endrechnung erschlagen werden? Der stationäre Einzelhandel hat schon lange nichts mehr mit persönlicher Beratung/Interaktion und Shopping-Experience zu tun. Von einigen wenigen kleinen Ladengeschäften natürlich abgesehen. Es geht um die Kaufhofs, Media und Saturn Märkte dieser Welt.

Weshalb Amazon ausserdem noch an echten Läden interessiert sein könnte, ist die simple Tatsache, dass Lagerung und Lieferung von Nahrung wesentlich komplexer ist als Bücher, Rückenkratzer oder selbst Kleidung, was Amazon typischerweise verkauft. Daher ist man an den Nutzerdaten interessiert, um zu sehen wie sich besonders Lebensmittel bei Amazon-Kunden drehen. Und da global gesehen Lebensmittelkäufe vor Ort dem Kauf übers Internet (noch) von Kunden bevorzugt werden - weil man die Qualität und Frische seins Steaks, des Salates oder das Obstes erfahren kann - ist der ein echter Laden für Amazon aktuell die einzige Möglichkeit diesen Bereich noch zu erobern. Und im Zweifelsfall noch zu revolutionieren.

Phygital. Physisch und digital verschmelzen. 

Das Konzept wird auch deshalb erfolgreich sein, weil es den bisherigen (Grund-)Abläufe, nicht verändert. Rein kommen, Produkt suchen und einpacken, raus gehen. Fertig. Der digitale Teil läuft weitestgehend im Hintergrund ab und sorgt als Infrastruktur für einen reibungslosen und nahtlosen (physischen) Ablauf. 

Es beginnt mit der Smartphone-App, die Kunden verwenden, um einzuchecken. Der Prototyp zeigt einen QR-Code, mit dem man die Tür zum Laden öffnet. Perspektivisch wird sowas auch per Sensor möglich sein, wo man schon gar nicht mehr das Device zücken muss, sondern, wie heute auch schon, einfach rein läuft. Diverse Sensoren erkennen dann welche Produkt der Kunde wirklich in die Hand nimmt und einstecken hat. Die App registriert das im Hintergrund und aktualisiert stetig den Warenkorb. Beim Verlassen des Ladens merkt die App das und rechnet über das hinterlegte Amazon-Konto direkt ab. Da bleibt auch nach wie vor ausreichend Platz für menschliche Interaktion, wer das möchte.

Aus Metro FutureStore wird Amazon Go.

Ein Konzept, das nicht ganz neu ist. Auf der CES 2013 wurde schon ein ähnlicher Aufbau gezeigt. IBM hat vor 10 Jahren ein ähnliches Szenario aufgezeigt. Metro eröffnete bereits 2003 ihren ersten FutureStore in Nordrhein-Westfalen, wo man über die Zukunft das Retails forschte. Damals noch basierend auf RFID. Die Story dahinter ist dieselbe wie von Amazon Go. Rein kommen, erkannt werden, rausgehen ohne warten zu müssen. 

Der Metro FutureStore war von Beginn an allerdings nicht nur rein für den Kundennutzen gedacht. Es ging vorrangig um Effizienz. Lager- und Logistikintelligenz. Optimierung im Einkaufsablauf. Und das ist ein Teil der in dem Amazon Werbefilmchen - natürlich - nicht gezeigt wird, weil es schlichtweg unsexy ist. Und für die Nutzer irrelevant. Aber nicht für Amazon, die auf Effizienz aus sind. Ein Aspekt, der gerne vernachlässigt wird, er aber Amazon dazu antreiben wird, dieses Konzept möglichst breit auszurollen. Und die Kunden sind ja nun auch schon so weit.

Der moderne Retail-Kunde ist bereits Amazon-Kunde

Als weiterer Kritikpunkt wird der Walled Garden erwähnt. Als wäre ein Amazon-Konto eine ernsthafte Hürde, die das Konzept zum Scheitern bringen würden. Wenn am zur Weihnachtszeit an einem Tag 5,4 Mio. Produkte über Amazon.de verkauft (!!) werden, dann lohnt sich eine weitere Diskussion darüber nicht mehr. Man kann über Privatsphäre reden. Man kann über Hacker-Angriffe und Sicherheit der Daten reden. Ändern wird das aber alles nichts mehr. Denn wir befinden uns schon mit beiden Beinen in dieser digitalisierten und vernetzten Welt. Und was mit den Daten aus den munter genutzten Kundenkarten von Payback von DeutschlandCard passiert, kann man auch nur erahnen. Einen Lock-In-Effekt zu kritisieren ist ohnehin zweifelhaft, wenn doch alle versuchen ihre Kunden darüber zu binden.  

Prototyp für Mitarbeiter und Public Start ab 2017

Aktuell läuft die Beta-Phase nur mit Amazon-Mitarbeitern im ersten Store in Seattle. Im Frühjahr 2017 sollen bis zu 2000 weitere Läden in den USA für die Öffentlichkeit gelauncht werden. Es bleibt abzusehen ob es so viele oder nur 200 werden. Aber selbst damit könnte der Onlinehändler bereits einen ersten Schritt in ein neues Einkaufserlebnis gegangen sein.


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